GEHEIME INTELLIGENZ

 

Heute fühlt sich niemand mehr beleidigt, wenn wir davon sprechen, vieles von dem was uns bewegt und motiviert, sei uns nicht bewusst. Es ist aber eine Sache, ganz allgemein vom Unbewussten zu sprechen und eine ganz andere, dem eigenen Unbewussten auf die Spur zu kommen (Bildungsprinzip). Es wird uns schnell unbequem, vielleicht sogar mulmig zumute, wenn wir Einblick gewinnen in das, was uns tatsächlich bewegt, woran wir insgeheim festhalten, worauf wir eigentlich hinauswollen oder welche Wirkungen wir unter der Hand in die Welt setzen. Dann gehen wir schnell und trickreich dazu über, umzudeuten, zu verschieben, zu verlagern, umzudrehen, aufzuteilen oder sonst wie die Wirklichkeit so zu behandeln, dass es für einen wieder stimmig wird. Schon in der Bibel heißt es "Was siehst du den Splitter in deines Bruders Auge und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem eigenen Auge?" (Matthäus 7:3).

 

Allerdings ist es unberechtigt ja gar falsch, dem Unbewussten bloß Frühkindliches, Irrationales oder gar Perverses zuschieben zu wollen oder noch schlimmer, im Unbewussten die Ursache für Störungen zu erblicken, wie es im Alltag so oft geschieht. Unbewusst ist uns zum Beispiel auch, was wir alles können und was wir alles verstehen. Wir verstehen etwas noch bevor wir es kapieren. Was wir meinen zu können und nicht zu können, entspricht nur in etwa dem, was noch da ist. Aus diesem Grunde erscheint es treffender, statt schlicht vom Unbewussten, von einer "geheimen Intelligenz" (Wilhelm Salber) zu sprechen. So können wir sehr wohl etwas verstanden haben, wenngleich wir meinen, es nicht zu tun. Wir treffen Urteile, lange bevor wir zu Entschlüssen kommen. Wir wirken in einer bestimmten Weise und sind verblüfft oder erschrocken von den Folgen. Was unlogisch erscheint, kann sehr wohl Sinn machen. Was uns im Alltag entgeht aber zutiefst beschäftigt, können wir uns in der Nacht vor Augen führen (Träume).

 

Die geheime Intelligenz, die uns im Alltag oft sehr wertvolle Dienste leistet, kann uns aber eben auch in die Quere kommen und stören. Erklärungen und Begründungen, mit denen wir uns und andere beruhigen wollen, haben oft genug nur entfernt etwas mit dem zu tun, was eigentlich Sache ist. Seelisch können wir mit der Flinte auf Elefanten schießen, die einst Mücken waren oder aus einem X ein U machen. Wir können seelisch 360-Grad-Veränderungen vollbringen oder uns blind machen für etwas, was direkt vor unserer Nase abläuft. Geheime Intelligenz hat nichts zu tun mit einem IQ oder einem EQ. Vielmehr soll damit herausgestellt werden, dass wir in einer bestimmten Weise unser Leben zu gestalten verstehen und ein ganz bestimmtes Bild zu verwirklichen suchen. Dafür sind wir dann u.U. bereit, Entwicklungsmöglichkeiten zu opfern und Leiden auf uns zu nehmen.

 

Das Problem ist häufig, dass wir selber nicht einsehen können, welche unserer Methoden uns wann und wie hilfreich und wann sie uns wie stören können. Wir sind schlicht nicht immer "Herr im eigenen Haus" (Sigmund Freud). Wir erleben dann mehr oder weniger alles als Widerfahrnis und selbst wenn wir vergegenwärtigen, wo wir unsere Hände mit im Spiel haben, können wir doch nicht so ohne Weiteres daran drehen.